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Sonstiges

Reinhard Pitsch

Lasciate e prendete speranza

 Eine Wahlanalyse

 

Es gibt noch treue Wähler in Wien: in einem Sprengel im 19. erreichte die FPÖ 0,0 %, HC gegen 7, die SPÖ über 60 – ein städtisches Pensionistenheim; in einem ebensolchen im 18. erzielten die Grünen 0,0, HC knapp über der FP gegen 7, die SPÖ…eh scho wissen. Die FP hingegen konnte genau einen Sprengel dominieren: ihren Erbpachtsitz im 16., den „Polizeiblock“ der Sicherheitswache an der Koppstraße. (Wehmütige Erinnerung eines alten Genossen: noch Anfang der 70-er Jahre marschierte die BO – Betriebsorganisation – Polizei in Bataillonsstärke in voller Parade mit Spiel am 1. Mai in den Reihen der KPÖ auf).

 Zur ernsten Analyse regt das einzig verbliebene Zentralorgan deutscher Sprache, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (für die Interessen von Großkapital und Schwerindustrie) gleich dreifach in der Ausgabe vom Dienstag, 13. Oktober, an: zunächst ein Porträt des Siegers, eingeleitet mit präziser Feindanalyse: “Anfang der 1990-er Jahre legte Michael Ludwig eine Dissertation ´Die marxistisch – leninistische `Partei neuen Typs´ am Beispiel der SED`. Ein Kommunist?“ Der besorgte Leser wird sofort beruhigt, Ludwig gelte in der Partei (alten Typs?) als pragmatischer Rechter, habe aber offenbar die Methoden neuen Typs gut gelernt und sich in einer Kampfabstimmung gegen die „Linke“ durchgesetzt. Dann ein langer Bericht über Wien. Und dann der Chefredaktionskommentar, adressiert an europäische, vor allem deutsche Sozialdemokraten: es sei eben kein Naturgesetz, dass Arbeiter rechtspopulistisch wählen und handeln; „vernünftige“ Politik – gemeint die Wiener SPÖ – beweise das Gegenteil; also weg mit Träumen von rot-rot-grün, „seriöse“ Politik mit „seriösen“ Bürgerlichen.

 Einer der besten Analytiker Österreichs, Andreas Koller von den „Salzburger Nachrichten", scheint dem am selben Tag zu widersprechen. Die über 200.000 Nichtwähler der FPÖ plus HC repräsentierten immer noch mehr Arbeiterwähler als jede andere Liste.

 Beides ist ungenau, trügerisch, die Tatsachen sind härter. Nur SPÖ und FPÖ haben Wähler verloren, 27.806 bzw. 204.848. Dies gilt es zu analysieren, nicht die Zufälligkeiten der Wahlarithmetik nach dem Selbstmord der FP. Unterstellt, alle Nichtwähler der FPÖ wären Arbeiterstimmen, unterstellt, alle Gewinne der Anderen kämen auch von den Arbeiterstimmen der FP, ergibt sich: Grüne plus 8.771, ÖVP 71.279, Neos 2.868, HC 23.688, Links 14.919, Bier 13.923, SÖZ 8.742. Gesamt: 144.190, es fehlen nicht weniger als 60.658 auf die FP-Nichtwähler.

Und das ist bloß die mathematische Theorie. Niemand wird ernsthaft annehmen, dass alle VP-Gewinne von der FP kommen, dass mehr als 1 – 3 Mandate von Links oder SÖZ dorther kämen, ebenso Grüne und Bier. Realistisch betrachtet heißt dies: 100.000 Ex-FP-Wähler sind im politischen Nichts verschwunden!

Auf den ersten Blick mag dies erfreulich scheinen. Wechseln wir den historischen und geographischen Horizont: Sämtliche Versuche der KPD vor 1933, faschistische Arbeiter zurückzugewinnen, scheiterten, von der Scheringer bis zur Stennes – SA, über den Berliner BVG – Streik (SA und RFB gemeinsam Streikposten). Ebenso die Versuche des PCd’I. Und so scheiterte der Versuch, des in dieser Sache wirklich bemühten Ludwig. Diese Menschen sind für jede linke oder marxistische Bewegung verloren. Lasciate ogni speranza, lasst alle Hoffnung, mit Dante und Marx.

 Hingegen ist das unerwartet erfreuliche Ergebnis von „Links – KPÖ“ Grund für vielerlei Hoffnung. Die vielen Bezirksräte werden, teils mit Fraktionsbonus, ihre Kontrollaufgaben zu erfüllen haben. Als altem Marxisten sei mir zum Schluß ein Lenin-Wort gestattet: Enthüllungen zum Zweck der Mobilisierung. Die Realisierung dieser Aufgabe liegt an Jüngeren.

 

Dr. Reinhard Pitsch, ehemaliger Wissenschaftsreferent des Bundesvorstands der KPÖ und Mitglied des Redaktionskollegiums von „Weg und Ziel“

Persönliche Anmerkung:

Dieser Text in Länge von 3500 Zeichen wurde am 13. 10. gegen 23h im Billini von B. S. für die aktuelle „Volksstimme“ angefordert, wegen bevorstehendem Redaktionsschluß wurde als Abgabetermin Freitag, der 16. 10., 23h im Billini vereinbart. Ich lieferte pünktlichst. Mir wurde mitgeteilt, dass bereits Stunden vorher in der „Volksstimme“-Redaktion (wegen Vetos) beschlossen wurde, den (unbekannten) Text nicht zu bringen. Ich wurde davon nicht informiert. Der Text wurde von niemandem gelesen. Soviel zu Demokratie und journalistischer Seriosität der „Volksstimme“.

 

 

© Robert Foltin. Foto im Seitenkopf: Katharina Struber

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